Was bietet das aktuelle Jahrzehnt uns bitte für eine Auswahl an Klangperlen, die vor 2020 kaum oder viel zu wenig Relevanz genossen haben? Sleep Token schufen einen Mythos um sich selbst, und Spiritbox liefern wahrscheinlich wieder Material ab, das zur nächsten Grammy-Nominierung führen wird – diesmal hoffentlich ohne Verwechslung. Bis es so weit ist, widmen wir uns erst einmal dem von jedem Künstler gefürchteten Nachfolger eines sehr erfolgreichen Debütalbums. Bereits zwei EPs befinden sich zwischen dem Debüt Eternal Sea und der kommenden Platte Tsunami Sea, doch lastet der Drang, das Maß an Kreativität und den daraus resultierenden Hype zu halten, natürlich schwer auf den Schultern der Progressive-Kanadier. Wie Album Nr. 2 in die Diskografie von Spiritbox passt und ob wir hier einen «Album of the Year»-Anwärter haben, klären wir in unserem Review.
Fortsetzung folgt – aber anders
Zunächst einmal möchten wir, dass ihr alles vergesst, was ihr über Spiritbox wisst. Packt die Messlatte weg und lasst euch auf eine LP ein, die voll und ganz für sich steht. Klar, die gigantischen Melodien, die fiesen Breakdowns und Courtney LaPlantes unfassbarer Gesang sind alle noch da. Aber Tsunami Sea ist mehr als nur ein Upgrade. Das Album atmet künstlerische Reife, ist ein dunkler, düsterer Strudel aus Emotionen und bringt den bisher kohärentesten Sound der Band.
Schon der Opener Fata Morgana macht keine Gefangenen: djentige Riffs, ein fettes Soundgewitter, Courtney schreit sich die Seele aus dem Leib. Und dann Black Rainbow, das wohl böseste Stück, das Spiritbox je geschrieben haben. Das Album begibt sich von dort aus auf eine Reise durch melancholische Klanglandschaften, brutale Moshpit-Momente und elektronische Spielereien, die sich diesmal jedoch nicht wie Fremdkörper anfühlen, sondern fest ins Songwriting integriert sind.
Konzept schlägt Banger
Wo Eternal Blue manchmal noch wie ein «Best of» wirkte, ist Tsunami Sea ein komplettes Erlebnis. Songs wie Perfect Soul und Keep Sweet verbinden melodischen Bombast mit brutalen Riffs, während Crystal Roses die Grenzen zwischen Metalcore und UK Garage/DnB verschwimmen lässt (ja, das klappt überraschend gut). Ride The Wave beginnt fast cineastisch, nur um sich dann in absolutes Chaos zu stürzen. Und dann das Finale: Deep End. Ein melancholischer, aber hoffnungsvoller Abschluss, der zeigt, dass Spiritbox auch nach all der Düsternis noch etwas Licht zu bieten haben.
Generell lässt sich sagen, dass Spiritbox es schaffen, dass sich Tsunami Sea wie ein 43-minütiges Konzeptalbum anfühlt, das nie ganz aus der Bahn fällt, während es den gesamten Ozean an stilistischen Elementen bedient.
Mehr Emotion, mehr Chaos, mehr Spiritbox
Besonders beeindruckend ist, wie Courtney LaPlante ihre Emotionen in die Songs gießt. A Haven With Two Faces könnte glatt von der ersten Spiritbox-EP stammen, nur mit mehr Erfahrung und einer feineren Produktion. Diese Kombination aus ungeschliffener Wut und raffinierter Soundgestaltung macht Tsunami Sea zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle.
Trotz all der Heaviness vergisst das Album nie seine melodische Seite. Tracks wie der Titeltrack Tsunami Sea oder Perfect Soul balancieren zwischen Chaos und Harmonie, zwischen Wahnsinn und Eingängigkeit. Das ist es, was Spiritbox schon immer auszeichnete: Sie schaffen es, aus der größten Zerstörung noch schöne Momente herauszuholen.
Fazit
Spiritbox haben mit Tsunami Sea das geschafft, was vielen Bands beim zweiten Album nicht gelingt: Sie haben ihren Sound verfeinert, sich weiterentwickelt und trotzdem ihren eigenen Vibe behalten. Ob sie damit den nächsten großen Metalcore-Trend setzen? Möglich. Ob sie damit endgültig in einer Liga mit Sleep Token spielen? Na sicher! Tsunami Sea ist nicht nur ein starker Nachfolger, sondern toppt das Debüt an einigen Stellen durch zusätzliche Erfahrung und Möglichkeiten.