Der dritte und letzte Tag am Nürburgring startet spät – aber mit Ansage. Nach zwei intensiven Festivaltagen mit unzähligen musikalischen Höhepunkten füllt sich das Gelände ab dem späten Nachmittag erneut mit Vorfreude und Festivalenergie. Die Sonne zeigt sich nur sporadisch, aber auf den Bühnen ist die Strahlkraft ungebrochen.
Emotionaler Auftakt: Polaris und I See Stars
Polaris auf der Mandora Stage gehören zu den ersten echten Höhepunkten des Tages: Mitreißender Metalcore aus Australien, emotional aufgeladen, technisch präzise und getragen von enormer Energie. Die Band zeigt eindrucksvoll, dass sich Härte und Herz nicht ausschließen – ihr Set schlägt direkt in die Magengrube, trifft aber genauso sehr ins Herz. Eine dieser Performances, bei denen man spürt, dass hier alles stimmt: Sound, Ansage, Publikum.
Fast parallel dazu: I See Stars auf der Orbit Stage. Zehn Minuten später gestartet, liefern sie eine wilde Mischung aus Post-Hardcore, Trance und Pop – energetisch, verspielt, mit einer klaren Vision und einem Sound, der in keine Schublade passt. Wer offen war, wurde belohnt.
The Warning, Jinjer und die ersten Highlights auf der Hauptbühne
Der erste Act auf der Utopia Stage, den ich selbst erlebt habe, war The Warning. Das mexikanische Trio rund um die drei Schwestern bringt eine Mischung aus Alternative Rock, Metal und Pop mit, die live nochmal deutlich mehr Druck entfaltet als auf Platte. Sympathisch, fokussiert, kraftvoll – ein souveräner Auftritt mit viel Power und einem immer größer werdenden Fankreis.
Bei Jinjer habe ich nur kurz vorbeigeschaut – nicht, weil die Show nicht überzeugte, sondern weil ich die Band schon öfter live gesehen habe. Auch diesmal war die Stimmung großartig: kraftvolle Vocals, ein tightes Zusammenspiel und ein Publikum, das die Band feiert. Die Ukraine ist hier definitiv musikalisch stark vertreten.
Festival-Ekstase: Beatsteaks zerlegen die Utopia Stage
Beatsteaks auf der Utopia Stage waren dann das erste absolute Highlight des Abends – ein Abriss in klassischer Festivalmanier. Ab dem ersten Song: pure Ekstase. Die Berliner lieferten ein Best-of-Set mit maximaler Energie und dem Charme, für den sie seit Jahren geliebt werden. Zwischen rotzigem Punk und stadiontauglichen Mitsingmomenten war alles dabei – inklusive Stagedives, Circle Pits und einer Crowd, die komplett eskalierte. Eines der Sets, das in Erinnerung bleibt.
Laut, härter, Whitechapel: Der Abend wird düsterer
Ein kurzer Abstecher führte zu The Ghost Inside – gewohnt druckvoll, tight, intensiv. Hardcore mit Herz, der auf der Orbit Stage perfekt aufgehoben war. Direkt im Anschluss dann Whitechapel, deren massiver Bass-Sound einem förmlich von oben entgegenschlug, noch bevor man die ersten Screams hörte. Was für eine Wand! Die Tiefe dieser Frequenzen war fast körperlich spürbar – ergänzt durch kompromisslosen Deathcore mit maximaler Intensität.
Lorna Shore und Falling in Reverse: Zwei Welten, ein Zeitfenster
Dann kam es zur nächsten Überschneidung der Festivalplanung: Auf der Mandora Stage starteten Lorna Shore mit ihrem charismatischen Frontmann Will Ramos, der das Publikum mit Growls, Screams und einer fast schon dämonischen Präsenz in seinen Bann zog. Episch, orchestriert, brutal – eine Show, die Genre-Fans euphorisch zurückließ.
Kurze Zeit später starteten Falling in Reverse auf der Utopia Stage. Die Band lieferte ein kontrovers diskutiertes, aber visuell wie musikalisch starkes Set. Ronnie Radke polarisiert, doch seine Präsenz ist unbestreitbar. Die Produktion beeindruckt, der Sound sitzt – eine Show zwischen Größenwahn und Genialität.
Sakrales Spektakel und Nu-Metal-Legenden: Powerwolf & Korn
Powerwolf setzten anschließend auf der Mandora Stage zum sakralen Metaltheater an. Großes Besteck, große Gesten – und ein Publikum, das jeden Refrain lauthals mitsang. Die Lichtshow, die Outfits, die Predigten zwischen den Songs – alles passte ins überzeichnete Gesamtkunstwerk. Ein Spektakel, wie es nur Powerwolf inszenieren können.
Dann kam der große Abschluss auf der Hauptbühne: Korn. Was für ein Brett. Vom ersten Ton an war klar, dass hier Legenden stehen, die noch lange nicht müde sind. Der Sound: gewaltig. Die Setlist: ein wuchtiger Ritt durch die eigene Geschichte. Zwischen brachialem Groove, düsterer Wut und der charakteristischen Stimme von Jonathan Davis entfaltete sich eine Show, die das gesamte Infield in ihren Bann zog. Es war laut, intensiv, emotional – und einer der besten Headliner-Gigs des gesamten Wochenendes.
Verpasste Chance: Stray From The Path
Stray From The Path hätte ich zu gerne gesehen – und habe im Nachhinein von mehreren Kolleg:innen nur Gutes gehört. Politisch klar, musikalisch kompromisslos, live mitreißend. Wieder eine dieser Entscheidungen, bei denen man sich wünscht, man könnte sich teilen.
Magisches Finale mit Sleep Token
Sleep Token schließlich setzten den letzten Ton des Festivals – und taten das mit hypnotischer Ruhe. Atmosphärisch, düster, fast schon sakral. Ihr neues Album „Even in Arcadia“ setzten sie vor beeindruckender Kulisse und mit fast magischer Lightshow gekonnt in Szene. Die Band lässt das Wochenende nicht mit einem Knall, sondern mit einer faszinierenden Klanglandschaft aus Ambient, Metal, R’n’B und Ritual in perfektionierter Darbietung enden. Ein würdiger Schlusspunkt, der nachwirkt.
Sonntag am Ring – der perfekte Abschluss
Nach drei intensiven Tagen ist klar: Rock am Ring 2025 war mehr als nur ein Festival. Es war ein kraftvolles Miteinander aus Musik, Emotion, Gemeinschaft und Momenten, die bleiben. Vom ersten Circle Pit bis zum letzten Ton in der Nacht – der Ring hat erneut bewiesen, dass er für viele nicht nur ein Ort, sondern ein Gefühl ist.
Eines hat Rock am Ring 2025 außerdem wieder deutlich gemacht: Wer wirklich alles mitnehmen will, braucht nicht nur Kondition, sondern auch Entscheidungsfreude. Dass viele große Acts parallel angesetzt waren, war Fluch und Segen zugleich – ein echtes Luxusproblem, das Festivalgänger:innen aber trotzdem an ihre Grenzen brachte. Bei dieser musikalischen Qualität war das unvermeidbar – und manchmal eben auch brutal schwer.
Trotzdem bleibt das Fazit: Egal, welchen Weg man über das Wochenende gegangen ist – es war der richtige. Rock am Ring lebt – laut, emotional und lebendig wie eh und je.