Das aus Brighton stammende Trio Tigercub ist hierzulande noch nicht all zu bekannt, doch mit dem Release ihres dritten Albums The Perfume Of Decay am 2. Juni könnte sich das nun ändern. Dem Erfolg ihres zweiten Albums As Blue As Indigo (2021), mit dem sie auf Platz 11 der UK-Charts landeten, folgte eine Tour quer über den Globus; von ausverkauften Shows in ihrer Heimat bis nach Amerika. Mit dem Erfolg steigen natürlich auch die Erwartungen an zukünftige Projekte, denen man erstmal gerecht werden muss. Uns erwartet nun eine Platte, die permanent mit Kontrasten und Gegensätzen experimentiert und die anhand ihres stimmungsvollen, melancholischen Sounds eine ganz eigene Welt erschafft. Eine Welt wie aus einem Hollywood-Film. Die Inspiration für den Titel bekam Frontman Jamie Hall auch tatsächlich beim Filmschauen. „The Perfume of Decay“ war lediglich ein Dialogfetzen, strahlte jedoch genau die Dunkelheit und Härte aus, die seine Band verkörpert.

„There was a nighttime aesthetic to it, and something that reminded me of Edgar Allen Poe and the Victorian era. It seemed to sum up the bittersweet nature of growing up. Thematically and musically, that‘s where Tigercub was headed.“

Nach einem kurzen Intro („Durge„) folgt der bereits im Oktober 2022 als Single erschienene, titelgebende Track „The Perfume of Decay„. Ein gewaltiges, absteigendes Gitarrenriff zieht sich als zentrales Element wie ein roter Faden durch den gesamten Song und spiegelt die düstere Atmosphäre des Albums in Perfektion wider. Deutlich härter als man es von Tigercub bisher gewohnt ist, treffen hier verzerrte Gitarren auf Jamie Halls kraftvollen Gesang. Der Opener erfüllt durch die von Anfang bis Ende anhaltende, dramatische Intensität jegliche Erwartungen, bleibt sofort im Kopf und macht vor allem Lust auf mehr.

 

Für „Show Me My Maker“ haben sich die Jungs von Drummer-Legende John Bonham (Led Zeppelin) inspirieren lassen. James Allix setzt hier auf schwere Percussions, die von völlig entstellten Gitarrenklängen unterstützt werden. Der Schlagzeuger wurde übrigens für einige Tracks in schwere Ketten gehüllt, um im Hintergrund ein rhythmisches Rascheln zu erzeugen.
Nun folgen mit „Play My Favourite Song“ und „Swoon“ zwei Songs, die den eher Pop-lastigen Sound von As Blue As Indigo (2021) ein für alle Mal über den Haufen werfen. Beide sind im Voraus schon als Single erschienen und haben uns mit ihrem bedrohlichen Unterton auf den neuen Sound von Tigercub vorbereitet. Halls Stimme klingt teilweise, als wäre er von einem Dämon besessen, der nach langer Zeit im Schatten der Band endlich Besitz vom Frontman ergriffen hat.

„The Perfume of Decay is set at night,“ Hall explains. „It was written at night, I recorded all the vocals at night, and it is at night when my thoughts race and uneasiness pours through me like running water. Under the glimmer of moonlight, my apprehension ebbs and flows like the tide and it doesn‘t stop until the morning. Perfume is a diary of my emotional journey from dusk to dawn, an anxiety-fueled voyage through the storm. Lyrically, at points, it is almost a stream of consciousness. I sat up late and wrote the words down as they flashed before my eyes.“

Veröffentlicht wird das Album über Loosegroove Records, dem Label von Stone Gossard. Der Gitarrist von Pearl Jam ist ein großer Fan von Halls Arbeit und hält den 2 Meter großen Frontman für einen sehr talentierten Songwriter und Gitarristen, der außerdem ein tiefes Verständnis für Kunst- und Musikgeschichte hat. Tigercub’s Debütalbum Abstract Figures in the Dark (2016) und der Nachfolger As Blue As Indigo (2021) repräsentierten zwei völlig verschiedene Seiten der Band und ihre Einflüsse reichten von Led Zeppelin über Slipknot, Chopin und Sonic Youth. Für The Perfume of Decay wollen Jamie Hall und seine Bandkollegen James Allix (Drums) und Jimi Wheelwright (Bass) nun den Raum zwischen diesen beiden Extremen erkunden. Kein Wunder also, dass sie hier erneut mit verschiedenen Genres experimentieren.
Während „You’re My Dopamine“ schon deutlich im Goth-Rock anzusiedeln ist, weist die nächste Nummer „We’re A Long Time Gone“ teilweise Elemente auf, die man im Folk wiederfindet.

Erst beim vierten oder fünften Hören des Albums fällt einem vielleicht ein Detail ins Auge, das man als Hörer nicht sofort zuordnen kann. Jamie Hall hat über die Jahre eine Sammlung alter Diktiergeräte angehäuft, von denen er einige Aufnahmen in die Tracks eingewebt hat. Die Erinnerungen und Notizen fremder Menschen sind unheimlich, bilden für ihn jedoch den Fingerabdruck der Platte.
Einen weiteren kreativen Ansatz haben die geshouteten Parts auf dem Album, die nicht wirklich geshoutet wurden. Stattdessen handelt es sich hierbei um sehr nah am Mikrofon geflüsterte Sequenzen, die hinterher verzerrt wurden. Wie dies dann live umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.
Der letzte Track „Help Me I’m Dreaming“ fühlt sich an wie die Albtraumvariante eines Schlaflieds und entlässt uns zum Ende des Albums mit einem schauerartigem Gefühl in die unendliche Dunkelheit der Welt von The Perfume of Decay.

Fazit

Einige brauchen vielleicht mehr als einen Versuch, doch wenn man sich wirklich darauf einlässt, erkennt man das große Potential von Tigercub. The Perfume of Decay ist abwechslungsreich, überzeugt mit Detailverliebtheit und die hoffnungslos düstere Stimmung zieht uns schnell in ihren Bann, um uns auch so schnell nicht mehr loszulassen. Die Jungs haben mit ihrem dritten Album ihren eigenen Sound gefunden und klingen so gut wie noch nie. Wer sie bisher nicht auf dem Schirm hatte, sollte das auf jeden Fall nachholen. Jamie Hall beschreibt das Album letztendlich mit Worten, denen wir nichts mehr hinzuzufügen haben:

„It‘s all about opposites. Sweet-and-salty popcorn tends to taste better than regular popcorn, even though those are two opposing forces. I wanted to nail that concept with our heavy guitars, softer-sung vocals, Can-style grooves, and a bit of shoegaze. Counterpoints can come together and make a powerful connection. I‘ve crossed the threshold from my 20s to my 30s, so I‘m getting older, but I‘m also entering my prime. This record is a reflection of that.“

Tracklist

  1. Dirge
  2. The Perfume of Decay
  3. Show Me My Maker
  4. Play My Favourite Song
  5. Swoon
  6. The Dark Below
  7. You’re My Dopamine
  8. We’re A Long Time Gone
  9. It Hurts When You’re Around
  10. Until I Forget
  11. Shadowgraph
  12. Help Me I’m Dreaming

Foto-Credits: Andreia Lemos

Annie

Annie

„I’ll be banging my head ‚til my brain rots.“
Dieser Satz sagt eigentlich genug. Musik ist neben dem Schreiben meine größte Leidenschaft und da bildet moshed.net für mich die perfekte Mischung. Auf Konzerten trifft man mich meistens in der ersten Reihe an, wo ich mir nicht gerade selten die Seele aus dem Leib brülle.
Lieblingsbands: Beartooth, Silverstein

The Perfume of Decay

8.1

Sound

8.5/10

Konzept

7.5/10

Hörspaß

8.5/10

Atmosphäre

8.0/10