Wir kennen ihn meistens nur als Frontmann der Punkrockband „Muff Potter“, aber der gebürtige Nordrhein-Westfale hat noch wesentlich mehr zu bieten. In diesem Jahr begeistert er uns mit seinem insgesamt fünften Autorenwerk „Arbeit“, dass am 29.04.2020 im S. Fischer Verlag erscheint. Wir haben für Euch vorab schon einmal einen Blick ins Buch werfen dürfen, das sich als gelungenen, gesellschaftskritischen Episodenroman rund um das häufig mystifizierte Nachtleben der Hauptstadt offenbart.

Während man bei Arbeit als erstes an spießige Anzugträger*innen mit einem klassischen 9-to-5-Bürojob denkt oder an buckelnde Bauarbeitende liegt hier falsch. Zunächst steht am Anfang eine Art Ankündigung, was den Leser in zwei Teilen á zehn Kapiteln erwarten wird. Dabei handelt es sich um ineinander verwobene Kurzgeschichten, die aber auch voneinander losgelöst funktionieren. Dabei erscheinen Begegnungen zwischen den Protagonisten wie zufällig, sind aber gewissenhaft und raffiniert konstruiert. Somit werden spotlightartig Anekdoten erzählt, die für gewöhnlich am Rand des Feiertrubels eines ganz gewöhnlichen Wochenendes in Berlin vergessen werden. Dadurch wirkt die Erzählung mühelos und sehr rasant, lässt somit aber viele offene Enden liegen, die man selbst gerne klären würde. So ist die Erzählweise technisch sehr sauber und sehr rasant, kann es sich aber nicht erlauben in die Tiefe zu gehen, um Hintergründe oder Denkweisen der Figuren zu beleuchten. Zudem sind die Charaktere sehr lebensnah gestaltet; so lernt man zum Beispiel den glücklosen Taxifahrer Bederitzky, die idealistische Sanitäterin Tanja oder die kolumbianische Essensauslieferin Marcela sowie ihre individuellen Schicksale Kapitel für Kapitel wie nebenbei kennen. Man wünscht sich automatisch mehr über die Figuren zu erfahren, was dem Werk aber nicht schadet, sondern eher bereichert. In den letzten drei Kapiteln denkt man kurz „Oh je, nicht noch mehr neue Figuren“, was aber schnell ins Gegenteil verkehrt wird, da die einzelnen Fäden gekonnt zusammengebracht werden, bevor das Ende des Buches in einem Crescendo gipfelt.

Dabei wählt Nagelschmidt durchweg eine simple, verständliche, und teilweise Umgangssprache, die es leicht macht, sich mit den Figuren zu identifizieren. Alltägliche Situationen wie der Kinobesuch oder Toilettengang werden genauso detailliert beschrieben, wie Drogenexzesse oder Aufgaben, die mehr denen eines Sozialarbeiters als Hostel-Angestellten gleichen. Und genau das macht das Buch lesenswürdig: das Bizarre im Alltäglichen, das Ungesehene im Normalen. Scheinbar ohne großen Aufwand rückt Nagelschmidt diejenigen ins Scheinwerferlicht, die ansonsten außen vorbleiben. Die, die an der Tür zum begehrten Lobo abgewiesen werden, die, die Flaschen sammeln, weil sie sich dadurch mit der Stadt verbunden fühlen sowie die, die am nächsten Morgen die Spuren der vergangenen Nacht beseitigen.

Eine klare Leseempfehlung für alle, die in Berlin mehr sehen als nur eine Partygroßstadt und sich ernsthaft mit den durchaus erschreckenden Lebenswelten abseits des Offensichtlichen auseinandersetzen wollen.

Tipp der Redaktion: Obwohl das erste Kapitel des zweiten Teils am meisten losgelöst ist vom restlichen Nachtgeschehen, so ist es mit Abstand das lesenswerteste und schlägt hammerhart ein- Gänsehaut vorprogrammiert!

29.04.2020, 21:00 Uhr „Arbeit“ BUCKPREMIERE Livestream aus dem Festsaal Kreuzberg, zu sehen bei YouTube, Facebook etc.

27.05.20 Berlin, Literaturforum im Brecht-Haus
02.06.20 Düsseldorf, Zakk (Düsseldorfer Literaturtage)
04.06.20 Berlin, Writers Thursday
07.06.20 Münster, Pension Schmidt
08.06.20 Dortmund, Oma Doris
15.09.20 Berlin, Heimathafen Neukölln
18.09.20 Rädigke, Gasthof Moritz
22.09.20 Leipzig, Conne Island
24.09.20 Dresden, Altes Wettbüro
29.09.20 Saarbrücken, Zum Hirsch ??
30.09.20 Karlsruhe, Jubez
01.10.20 CH-Zürich, Rote Fabrik
02.10.20 Stuttgart, Merlin
21.10.20 Braunschweig, Brunsviga
22.10.20 Kiel, Studio
28.10.20 Nürnberg, Z-Ba
29.10.20 Neumarkt i.d.Oberpfalz, Musik K
30.10.20 Coburg, Toxic Toast
10.11.20 Erfurt, Franz Mehlhose
11.11.20 Chemnitz, Weltecho
14.11.20 Weissenhäuser Strand, Rolling Stone Weekender
17.11.20 Hamburg, Uebel & Gefährlich
22.11.20 Köln, Artheater
23.11.20 Koblenz, Circus Maximus
24.11.20 Darmstadt, Centralstation
05.12.20 Mainz, KUZ
14.01.21 Hannover, Béi Chéz Heinz
15.01.21 Wiesbaden, Schlachthof
16.01.21 Mannheim, Alte Feuerwache
Redaktion : Jacky Dürkop

Gringoz Magazine

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