Japan verbindet man in erster Linie nicht mit harter Musik. Das Land des Lächelns exportiert eher Pop Idole und gecastete Frauenbands, als harte Mucker, die quasi eine einbetonierte Pommesgabel in die Luft strecken. Oder? Still und heimlich hat sich in Japan eine große Heavy Music Szene entwickelt, zu deren erfolgreichsten Vertretern auch die Trancecoreband Crossfaith gehört. Kurz vor ihrem umjubelten Auftritt im Berliner Bi Nuu haben wir uns mit Sänger Kenta Koie zum Plausch getroffen. Herausgekommen ist ein spannendes Interview und ganz neue Einblicke in die japanische Heavy Music Scene.

Gringoz: Hey Kenta, danke, dass du dir Zeit für uns nimmst! Lass uns gleich loslegen. Welche Bands und Musikstile haben dich und euch als Band am Meisten beeinflusst?

Kenta Koie: Linkin Park und Limp Bizkit sind wohl zwei der Gruppen, die uns am Meisten beeinflusst und inspiriert haben. Dann haben wir auch angefangen, richtig harte Musik zu hören, Metalcore und sowas. Wir lieben Killswitch Engage und Underoath. Aus der elektronischen Ecke würde ich sagen, sind unsere größten Einflüsse The Prodigy, The Chemical Brothers und ja, auch Skrillex.

Gringoz: Ihr habt ja ein The Prodigy und auch ein Linkin Park Cover auf eurer neuen Platte. Ist das ein letztere ein Tribut an Chester?

Kenta Koie: Ja, kann man so sagen. Beim Prodigy Cover lag der Fokus ganz klar darauf, den Song neu zu erschaffen. Beim Linkin Park Song ist es wirklich eine Art Tribut, wir haben nur sehr wenig geändert. Was aber auch daran liegt, dass die Songs von Linkin Park schon perfekt arrangiert und ausbalanciert sind, da gibt es nicht viel Spielraum für Veränderungen, die die Songs bereichern würden.

Wir wollten herausfinden, was Freiheit wirklich bedeutet

 

Gringoz: Auf eurem Track „Freedom“ feat. Rou Reynolds geht ihr ganz neue Wege. Wie kam die Kollaboration mit einem Rapper wie ihm zustande?

Kenta Koie: Wir wollten mal in eine andere musikalische Dimension abtauchen und gerne sowas wie Hip-Hop ausprobieren, eigentlich mehr Trap. Ja, Trap Style. Wir haben uns überlegt, wenn der Song einen Trap Part bekommt, klingt er mehr nach Cyberpunk. Das erste Mal zusammen gespielt haben Crossfaith und Rou ja schon 2011, 2012 in Japan. Es passt ganz gut, denn sowohl Crossfaith als auch Enter Shikari sind musikalisch ziemlich komplex und einzigartig. Aber trotzdem gibt es einige Ähnlichkeiten zwischen unseren Bands. Deswegen haben wir Rou gefragt, ob er bei Freedom mitsingen möchte. Uns war auch wichtig, mal einen ganz anderen Einfluss aus anderen Ländern mit reinzubringen. Klar, wir sind japanische Typen in einer japanischen Band, aber wir wollten mit dem Song herausfinden, was Freiheit wirklich bedeutet und daher war es uns wichtig, auch seine Meinung dabeizuhaben.

Gringoz: Der Refrain von Wipe Out klingt wie aus einer 80er Jahre Comic Serie. Seid ihr Anime Fans?

Kenta Koie: Ja, ich bin großer Anime Fan, genauso wie ein paar andere von uns. Wir sind halt aus Japan und da ist die Anime-Szene wirklich massiv und wir lieben es. Interessanterweise hat Teru (Terufumi Tamano, Keys/Synthies), der den Song geschrieben hat, zu der zeit überhaupt keine Inspiration aus Animes oder Videospielen gezogen. Erst als der Song fertig war, meinte Tatsuya, das klingt wie Wipe Out, die TV Show. Ich kenne die Show auch und dachte mir: „Ha, stimmt eigentlich, das ist es!“. Teru fand das natürlich überhaupt nicht! *lacht*.

Gringoz: Ist es in Japan für Bands, die nicht Teil der Idol-Szene sind oder gecastet wurden, den Durchbruch zu schaffen oder überhaupt gehört zu werden?

Kenta Koie: Jein. Durch Apple Music und Spotify können wir alle Bands auschecken und neue entdecken, uns Live Shows auf YouTube anschauen und sowas. Aber klar ist es immer noch hart. Gerade in Japan ist Popmusik halt der Mainstream- naja, wie überall eigentlich. Aber es gibt echt einen Menge Rockfestivals in Japan, die sich vor Allem auf japanische Bands fokussieren und richtig viele Slots haben, das macht es für Undergroundbands natürlich leichter. Auf Heavy Bands bezogen ist das was Anderes, die haben es nach wie vor echt schwer.

 

Bands wie Babymetal sollen alte Männer ansprechen, die Heavy Metal gut finden

 

Gringoz: Glaubst du, dass sich die japanische Popkultur im Umbruch befindet? Der ganze lange Weg von Traditioneller Musik, über Visual Kei, die Idol Kultur und jetzt kommen immer mehr so Sachen wie Trancecore, Metalcore, Heavy Metal aus Japan rüber geschwappt. Gerade bei letzterem gibt es ja auch total oft Choreos und Castingbands, Babymetal zB. Legt die Popkultur eine härtere Gangart ein, auch wenn viele Bands trotzdem gecastet sind?

Kenta Koie: Interessante Frage. Ich glaube, das ist ein weltweites Phänomen. Als Skrillex 2008, 2009 aufkam und auf einmal Dance Music mit heavy Sounds kombiniert hat, hat man weltweit versucht, das ein Stück weit zu imitieren und härter zu werden. Japan hat außerdem eine riesige Heavy Metal Szene. Das sind vor Allem ältere Männer, die diese Art von Musik mögen. Und die Casting Agents fokussieren sich auf diese Zielgruppe und dann kommt eben sowas wie Babymetal raus. Das ist der Hintergrund dieser Projekte.

Gringoz: In Japan gibt es auffallend viele rein weibliche Bands, die auch extrem gut ihre Instrumente beherrschen. Sowas kennen wir hier kaum, bei uns gibt es halt die Quotenbassistin. Ist in Japan die Vorstellung einer Rockband gender neutral? Ist es einfach egal, ob das Männer oder Frauen sind?

Kenta Koie: Das kommt meiner Meinung nach noch aus der Idol Kultur. Ich kenne aber ein paar richtige rein weibliche Bands, wie zum Beispiel Yonige.  Die werden gerade groß. Aber sowas wie Bandmaid oder Scandal, das ist nichts anderes als Idol Kultur. Das ist super Mainstream. Die sind natürlich auch alle bei den Major Labels.

Gringoz: Welche Undergroundbands und -clubs in Japan sollte man auf dem Schirm haben?

Kenta Koie:  Oh, wir haben soooo viele Underground Venues! In Osaka solltet ihr unbedingt das Shin Kagura und das Hokage auschecken. Die beiden Clubs sind an der gleichen Adresse, nur auf unterschiedlichen Stockwerken. Das ist also alles in einem superschmalen, düsteren Gebäude und auf jeder Ebene ist was anderes. Es ist superklein, aber auch super populär für Punkrock und Undergroundshows erster Güte. Dem Sänger von Palm gehört das alles quasi. Ist übrigens eine super Band- checkt die mal aus!

Gringoz: Kannst du eigentlich noch unerkannt auf die Straße gehen in Japan oder wirst du sofort von Fans belagert?

Kenta Koie: Haha, ja klar! Es passiert schon mal, dass jemand auf mich zukommt und fragt: „bist du nicht der Sänger von Crossfaith?“ und ich dann so: „Ja, hihi“. Abe um ehrlich zu sein passiert mir das hier bei euch öfter *lacht*.

 

Das japanische Publikum ist so höflich, das westliche eher nicht so

Gringoz: Gibt es einen Unterschied zwischen der asiatischen und der europäischen Crowd?

Kenta Koie: Absolut! Jedes Land hat ja eine unterschiedliche Crowd. Das japanische Publikum ist super höflich und versucht immer ganz genau zuzuhören, was wir auf der Bühne sagen und die Leute sind auch echt super ruhig. In westlichen Ländern, also Europa, USA, UK, ist das ganz anders. Ihr trinkt halt eine Menge und schert euch um nichts. *lacht*

Gringoz: ja, wir sind nicht so höflich! *lacht*

Kenta Koie: Ein weiterer Unterschied: nach einem Festival in Japan liegt nirgends Müll rum, die Leute nehmen ihren Dreck einfach wieder mit! Dann kommt man auf Festivals außerhalb Japans und es sieht aus, wie Sau! Aber das ist trotzdem mehr Rock n Roll für mich als der seltsame Anblick eines total sauberen Festivalgeländes. Aber nehmt das bloß nicht als Entschuldigung, euren Müll liegenzulassen!

Gringoz: Würdest du in der Karriere mit Crossfaith irgendwas anders machen, wenn du könntest?

Kenta Koie: Hm…. nein, ich glaube nicht *lächelt*. Crossfaith fühlt sich wie ein Zuhause an. Nein, ich würde nichts ändern!

Gringoz: Wunderschöne Schlussworte. Vielen Dank für das Interview!

Das Interview wurde geführt von Désirée Pezzetta
Fotocredits: Adina Scharfenberg

Gringoz Magazine

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