Mit ihrem frisch veröffentlichten zweiten Album „Neintology“ kredenzt die Punk-Rock-Combo Adam Angst wie bereits mit Album Nr. 1 eine Platte, die im besten Sinne viel Gesprächsstoff bietet. Wir trafen uns mit Sänger Felix und Bassist Kruse in einer Kreuzberger Kneipe (liebe Promoter: Bitte lasst künftig alle Interviews in Kneipen stattfinden!), um bei Bier, Gin Tonic und Maracuja-Schorle unseren Durst und Redebedarf zu stillen.

Gringoz: Zum Einstieg betrachten wir einmal die Kunstfigur Adam Angst: Wie hat sich der gute Herr seit dem letzten Album verändert?

Felix: In dem Sinne, dass die Kunstfigur gestorben ist. Wir konnten beim ersten Album selber nie so richtig erklären, was für eine Figur das ist, am Ende stand ich vorne auf dem Cover und habe die Songs gemacht. Ein bisschen hatten wir uns damals an diesem Tebartz-van Elst orientiert. Dieses Image-Ding oder diese Kunstfigur, dass ich irgendjemanden spiele, haben wir jetzt nicht mehr. Das ist schlichtweg gestorben. Wir sagen jetzt einfach, dass wir diese Band sind und gut ist.

Mit eurem ersten Album habt ihr in der Szene einen ziemlichen Erfolg erzielt, eure Konzerte waren immer voll und generell war die Platte ein großes Gesprächsthema. Habt ihr beim Schreiben vom zweiten Album deshalb einen großen Erfolgsdruck verspürt?

Felix: Ein bisschen Druck gab es schon, weil man arbeitet ja mit Plattenfirma, Booking-Agentur und so weiter zusammen und die sind natürlich stark daran interessiert, dass schnell ein Nachfolger kommt. Wenn wir bei einer Major-Plattenfirma wären, hätten die uns schon längst gekickt, weil wir einfach viel zu lang gewartet haben. Ich hatte aber auch keinen Bock zu schreiben, hatte einfach nicht viel zu sagen und bin auch sogar ein bisschen in ein persönliches Loch gefallen, sodass ich mich gar nicht mit Musik beschäftigen wollte. Von daher war es eher ein Struggle, dieses Album zu schreiben. Ich kann jetzt auch nicht so viel Gutes über diese Zeit sagen, so nach dem Motto „Ja geil, Knoten geplatzt und jetzt schreiben wir alle und treffen uns im Proberaum„, so war es gar nicht. Aber das muss ja nichts Schlechtes bedeuten. Viele Platten, die ich für mein Leben gerne mag, sind auch unter ganz schrecklichen Bedingungen entstanden wie „Tempo, Tempo“ von Blackmail beispielsweise. Da konnten die sich zum Beispiel gar nicht mehr sehen oder sprechen. Aber für mich persönlich ist das eine der geilsten Platten überhaupt. Ich weiß nicht, vielleicht liegt’s auch daran. Hast du Druck verspürt, Kruse?

Kruse: Überhaupt nicht. Das liegt aber auch glaube ich daran, dass die Gespräche mit Management, Booking und Label in der Vergangenheit hauptsächlich mit dir geführt worden und ich nicht so viel davon mitbekommen habe. Dieses „Keinen Bock, Musik zu machen“ hatte ich nicht, ich habe aber auch eigentlich immer Bock Musik zu machen. Ich habe mich dann einfach gefreut, dass wir es geschafft haben (lacht) und freue mich auf das, was jetzt kommt.

Felix: Man muss aber auch sagen, dass wir einfach eine echt gute Plattenfirma haben, die diesen Druck im Prinzip gar nicht ausübt. Wie gesagt, andere hätten uns längst gekickt, weil viele Sachen machen wir einfach nicht. Viele Sachen werden schon im Vornherein von ihnen abgelehnt, die sehen wir gar nicht. Einfach weil die Plattenfirma weiß, dass wir das sowieso nicht machen werden. Es gibt ja viele Dinge, die du als Band machen kannst, aber zum Glück sind wir finanziell nicht darauf angewiesen.

In einigen anderen Interviews habt ihr erzählt, dass ihr das Album bewusst mehr als Band und weniger als Einzelperson gemacht habt, was wir ja auch gerade schon kurz angeschnitten haben. Felix, ist es für dich auch teilweise schwer, Entscheidungen und Kontrolle abzugeben?

Felix: Eine kurze Zeit war es ein bisschen schwer, weil man das Gefühl hat, dass es einem aus der Hand gleitet und man dann Sachen machen muss, die man nicht geil findet, weil sich irgendwas demokratisch durchgesetzt hat (lacht). Das findet man dann erstmal kacke. Aber das ist letztendlich überhaupt nicht passiert, es ist alles ganz organisch gewachsen. Am Ende habe ich schon immer noch ein bisschen die Hand auf den Songs, für die meisten Tracks habe ich auch das Grundgerüst geschrieben und alles andere wurde dann so ein bisschen angepasst. Aber David [Gitarrist der Band, Anm. der Redaktion] hat zum Beispiel zwei Instrumentalsongs komplett beigesteuert und ich habe dann nur noch den Text darauf geschrieben. Letztendlich war es dann sogar so, dass ich mich total befreit gefühlt hab, weil ich auch gar keinen Bock mehr hatte, die ganze Verantwortung komplett alleine zu tragen. Jetzt weiß ich, dass es total schön ist, auch mal etwas abzugeben.

„Wir versuchen, uns musikalisch so breit aufzustellen, dass wir irgendwann alles machen dürfen.“

Ich finde auch, dass „Neintology“ vor allem musikalisch freier als die erste Platte wirkt. Seid ihr von Anfang an auch mit einer freieren Einstellung an das Songwriting herangegangen oder hat sich das einfach so ergeben, dass jetzt auch Polka, Trompeten & Co. Platz auf dem Album gefunden haben?

Felix: Da hatten wir sowieso Bock drauf, das ist eine Entscheidung, die wir alle tragen. Wir versuchen, uns musikalisch so breit aufzustellen, dass wir irgendwann alles machen dürfen. Wir vergraulen pro Album auch immer wieder Leute, aber irgendwann wird es dann so sein, dass wir jeden Musikstil bedienen können, so wie es zum Beispiel Die Ärzte machen. Das wäre das Schönste. Das Album klingt halt auch total nach Band, die erste Platte klang deutlich steriler. Wir haben beim Sound auch darauf geachtet, dass das Ganze breiter und handgemachter klingt. Das hört man finde ich.

Kruse: Finde ich auch. Gerade wenn du jetzt „Alle Sprechen Deutsch“ mit Polka und so ansprichst, das ist zum Beispiel ein Song, der so gemeinsam entstanden ist, als wir zusammen Demo-Aufnahmen im Studio gemacht haben. Es war total interessant für mich, einfach Sachen auszuprobieren, die ich noch nie gemacht habe. Und wir haben es einfach gemacht.

Felix: Ich glaube, dass sich viele Bands in einem musikalischen Korsett befinden. Gerade bei einigen Bands aus unserem Umfeld weiß ich, dass sie bestimmte musikalische Sachen nicht anfassen und auch nicht anfassen können. Oder nehmen wir mal zum Beispiel Fjørt – bei denen ist ja vollkommen klar, dass sie nicht plötzlich anfangen können, wie wir einen Polka-Song, der teilweise in Dur ist, auf eine Platte zu bringen. Das geht natürlich irgendwie auch nicht. Ein bisschen müssen sie ihren Stil ja auch beibehalten. Ich fände es aber geil, mit Adam Angst dem Ganzen entfliehen zu können. Das ist auch der Grund, warum es diese Band immer noch gibt. Ich kann mich musikalisch total ausleben, was ich bei Frau Potz zum Beispiel nicht konnte. Da musste der Sound so sein und es wäre alles komisch geworden, wenn wir wir es irgendwie anders gemacht hätten.

Auch wenn das Album breiter ist, finde ich es dennoch – sofern man das nach zwei Alben schon sagen kann – dennoch typisch Adam Angst.

Felix: Ja, es ist typisch Adam Angst, das finde ich auch. Aber, was man auch sagen muss: Wir haben a) eine Ballade auf der Platte, was natürlich immer eine klare Ansage ist. Da wird nur gesungen und es ist nur Melodie. Und es gibt einfach Musikhörer, die sagen, dass Musik immer auf die Fresse sein muss. Die wird man damit vergraulen. Das finde ich aber auch voll okay. Ich will nicht nur Leute da haben, denen es ausschließlich darum geht, einen Moshpit vor der Bühne starten zu können. Und b) sind die Songs nicht mehr so einfach. Vorher waren einige Songs sehr einfach und parolisch, an denen gab es nichts zu rütteln. Diesmal haben wir viele Sachen ausprobiert. Nehmen wir zum Beispiel einen Song wie „Immer Noch“, der von einem Streicher-Intro in eine groovige Strophe in einen ruhigen Part und dann wieder in einen typischen Adam-Angst-Refrain übergeht. Da ist klar, dass das nicht jedem gefallen wird. Aber das ist auch gut so. Wir wollen mit jedem Album irgendwas anders machen.

Kruse: Ich finde das auch nicht schlimm. Außerdem: Bei allen Bands, an die ich mich so erinnere, die mit ihrem ersten Album Gehör gefunden haben, hat es beim zweiten Album Leute gegeben, die die erste Platte irgendwie geiler fanden. Das gehört dazu. Wir haben ja zum Glück die Demo-Phase übersprungen, ansonsten würde es wohl heißen „Damals bei den Demos, da waren die noch geil!“ (lacht). Ich finde, man sollte darüber auch nicht zu viel nachdenken, sondern einfach das machen, was so aus einem herauskommt.

Hättet ihr das gleiche Album nochmal gemacht, hätte es ja auch wieder Leute gegeben, die das scheiße finden.

Felix: Eben, genau. Das wäre fast peinlich gewesen. Das war ja auch ein Grund, warum es mit der Platte so lang gedauert hat – wir wollten erstmal wieder für uns selbst ein neues Standing finden.

Ihr arbeitet auf „Neintology“ viel mit fiktiven Szenarien wie z.B. bei „Alexa“. Deshalb möchte ich euch jetzt auch in ein paar Szenarien hineinwerfen. Szenario 1: Ihr müsst einen Song über etwas schreiben, was ihr so richtig super findet. Über welches Thema würdet ihr schreiben?

Felix (lacht): Wie witzig, in anderen Interviews habe ich gesagt, dass ich nie einen Song wie „Haus Am See“ schreiben könnte. Geil. Einen Song über etwas schreiben, das ich richtig gut finde (überlegt)… Also wenn ich wirklich dazu gezwungen wäre, würde ich versuchen, einen Song über das gute Gefühl zu schreiben, das man hat, wenn man einem fremden Menschen mit einer kleinen Geste hilft und dadurch ein gegenseitiges Gutfühlen entsteht. Das können solche Dinge sein wie zum Beispiel, dass man einem Obdachlosen hilft. Nur habe ich beim Schreiben immer den Anspruch, dass der Text sehr situationsbedingt und detailliert ist und nicht einfach nur ein Gefühl beschreibt wie zum Beispiel Clueso es macht. Das wird halt die große Schwierigkeit, aber so ein Thema würde ich irgendwie versuchen.

Kruse: Ich muss sagen, dass ich die Vorstellung gerade ganz gruselig finde. Aber du musst es ja tun (lacht).

Felix: Genau, ich muss und würde es dann so versuchen (lacht). Aber ich würde es natürlich schlichtweg nicht machen, weil ich Songs immer aus einem negativen Gefühl heraus schreibe und versuche, dieses Gefühl in positive Energie umzuwandeln.

Auf dem Album teilt ihr auch gegen den ganzen Instagram-Lifestyle aus. Angenommen, ihr wärt krasse Influencer – für welche Produkte würdet ihr am ehesten influencen?

Felix: Oh Gott (lacht). Das ist so ambivalent. Natürlich würde ich gucken, dass ich mich für Tierschutz einsetze, für Seawatch oder ähnliche Sachen. Und für nachhaltige Produkte. Das machen ja auch viele Influencer. Aber es hat natürlich immer diesen komischen Beigeschmack. Mit irgendwas müssen die ja auch ihr Geld verdienen. Deswegen finde ich das so ambivalent. Aber es ist natürlich besser als nichts zu sagen. Aber ja, für sowas würde ich mich wohl entscheiden, wenn ich denn müsste.

Kruse: Ich finde, auch das klingt gerade wieder ganz gruselig (lacht).

Felix: Du hast bisher noch keine Antwort gegeben! (lacht)

Kruse: Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich finde es spannend, jetzt darüber nachzudenken, weil ich noch nie darüber nachgedacht habe.

Felix: Die Antwort hätte ich auch geben können!

Kruse: Joa… Nee. Ich bin glaube ich echt nicht der Typ Influencer (lacht).

Felix: Ich auch nicht. Man muss aber auch sagen, dass es manchmal schon ein bisschen neidisch macht zu sehen, wie sich Leute mit dem Influencer-Dasein mehr als über Wasser halten können. Aber es ist halt auch gruselig, dieses ständige Selfie-Videos mit dem Handy machen und so.

Kruse: Andererseits ist es halt einfach ein Job. Wenn die Leute Erfüllung darin finden, dann sollen sie das machen.

Kommen wir mal weg von den Influencern und hin zum letzten Szenario: Der Weltuntergang steht bevor. Welche abschließenden Worte würdet ihr der Welt gerne noch mitteilen, wenn ihr quasi einen Grabstein für sie gestalten könntet?

Felix: „Selber Schuld“ (alle lachen). Was will man auch sonst noch sagen. Andererseits ist man natürlich auch selbst, wenn auch nur zu einem kleinen Teil, verantwortlich. Wir würden uns da auch selbst nicht rausnehmen. Wenn die Welt untergeht, sind wir halt genau so daran Schuld wie alle anderen auch. Ansonsten vielleicht auch einfach „Joa.“. Also „J“, „O“, „A“ Punkt. Das fände ich am besten.

Kruse: „Hätte, hätte Fahrradkette“ fände ich auch sehr schön.

Felix: „Wäre, wäre Fahrradkette“!

Interview: Linda Kasprzack
Beitragsbild: Markus Hauschild

Noch mehr „Neintology“? Checkt doch mal unseren Review zur Platte aus. Sehr bald sind Adam Angst auch auf Tour – ranhalten beim Ticketkauf ist angesagt, denn in vielen Städten wird’s bereits voll:

15.11. Wiesbaden, Kesselhaus (ausverkauft)
16.11. AT – Wien, Arena (hochverlegt)
17.11. München, Backstage (hochverlegt)
18.11. CH – Zürich, Dynamo21
20.11. Köln, Die Kantine
21.11. Hannover, Musikzentrum
22.11. Münster, Sputnikhalle (hochverlegt)
23.11. Bremen, Schlachthof (hochverlegt)
24.11. Hamburg, Uebel & Gefährlich (hochverlegt)
25.11. Berlin, Festsaal Kreuzberg (hochverlegt)
 
22.02. Dresden, Beatpol
23.02. Leipzig, Conne Island
24.02. Frankfurt, Das Bett
01.03. Stuttgart, Im Wizemann
02.03. Osnabrück, Kleine Freiheit
03.03. Dortmund, FZW Club

Gringoz Magazine

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