Bereits vor über einem Jahr haben die Kanadier Silverstein ihr Album Dead Reflection veröffentlicht und haben sich seitdem oft in Deutschland sehen lassen. Zur Zeit sind sie auf Tour mit Anti-Flag und wir durften vor ihrem Konzert in Köln Sänger Shane Told interviewen.

GRINGOZ: Ihr seid schon seit über einer Woche auf Tour mit Anti-Flag, wie lief es bis jetzt?

SHANE: Sehr gut! Wir sind schon lange mit Anti-Flag befreundet und waren sogar noch länger große Fans von ihnen. Die Tour hatten wir schon lange geplant, wir wussten nur nicht, ob sie hier in Europa oder in Amerika stattfinden sollte. Bis jetzt hat alles super geklappt. Vor allem ist es echt cool, dass wir uns einen Bus teilen und nicht nur die Shows zusammen spielen, sondern auch für die paar Tage zusammen leben. Das passiert nicht oft, normalerweise schlafen die Bands auf Tour in separaten Bussen.

GRINGOZ: Das klingt nach Spaß! Ihr wart dieses Jahr ganz schön oft in Deutschland, habt ihr irgendwelche Lieblingsorte oder Städte, in denen die Konzerte besonders gut sind?

SHANE: Hier in Köln sind die Konzerte immer etwas Besonderes! Die Stadt ist sowas wie das Mekka für Musik in Europa. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es so zentral ist und auch Leute aus Belgien und den Niederlanden zu den Konzerten kommen können. Wir haben schon sehr oft hier gespielt, in den letzten 12 Monaten, in denen wir nach Europa gekommen sind, waren wir bestimmt schon fünf Mal hier. Das ist sehr oft, vielleicht sogar zu oft, aber ich denke, nach dieser Tour machen wir auch erst mal eine längere Pause von Deutschland.

GRINGOZ: Das Wort Pause scheint euch ja sonst eher unbekannt zu sein. Nicht nur in Europa wart ihr viel unterwegs, ihr habt auch bei der allerletzten Vans Warped Tour gespielt. Wie war das für euch?

Shane: Sehr gut und ein bisschen emotional. Wir waren so oft bei der Warped Tour, bestimmt neun Mal. Daran hängen ziemlich viele Erinnerungen. Es ist schon ein hartes Gefühl zu wissen, dass das jetzt zu Ende geht, aber wir werden uns gerne daran erinnern.

GRINGOZ: So scheint es vielen zu gehen, immerhin fand die Warped Tour seit über 20 Jahren jeden Sommer statt. Da wir die ganze Zeit über Tour reden, ihr geht dieses Jahr in Amerika auf Jubiläumstour mit eurem ersten Album When Broken Is Easily Fixed. Wie fühlt es sich an, diese Lieder 15 Jahre später zu spielen? 

SHANE: Das wird ziemlich merkwürdig. Über viele dieser Lieber habe ich seit Jahren nicht nachgedacht. Wir haben sie fast nie gespielt oder gesungen. Wir waren immer eine Band,  die sich gerne an die Vergangenheit erinnert und spielen immer ein oder zwei alte Songs bei den Konzerten. Wir sind keine der Bands, die sagen, ihre alten Lieder seien nicht gut. Daher haben wir überlegt, wie wir dieses Album feiern könnten. Als wir diese Idee hatten, habe ich vorgeschlagen, dass wir einen Geiger mit auf Tour nehmen sollten, da in vielen Songs Geige vorkam. Das haben wir auch noch nie gemacht. Wir dachten einfach, diese Tour könnte Spaß machen und wäre eine Möglichkeit, den Fans zu danken, die von Anfang an dabei waren. Ich dachte allerdings nicht, dass die Tour so groß werden würde. Ich dachte, die Hallen, die wir gebucht hatten, wären zu groß und wir sollten eher kleine Hallen buchen, doch dann waren die ersten Shows ausverkauft und wir mussten einige Konzerte sogar in größere Hallen verlegen. Das ist um einiges größer, als ich erwartet hatte. Ich hatte tatsächlich nicht gedacht, dass so viele Leute sich dafür interessieren. Es fühlt sich merkwürdig an, die Lieder jetzt noch mal zu proben und wir müssen oft darüber lachen, wie wir vor 15 Jahren absolut nicht wussten, was wir taten. Wir wussten nicht, wie man Struktur in Lieder bringt und solche Sachen. Die Tour wird ziemlich cool, denke ich. Die Shows sind mit ziemlich viel Nostalgie und Erinnerungen verbunden.

GRINGOZ: Das kann man sich vorstellen, 15 Jahre ist eine lange Zeit und die Band hat sich ziemlich verändert. Erst letztes Jahr habt ihr eurer achtes Album Dead Reflection veröffentlicht, wie lief da der Schreibprozess? Gab es Lieder, die besonders einfach zu schreiben waren, vielleicht weil ihr sie schon länger im Kopf hattet oder weil ihr damit etwas ausdrücken wolltet, das euch wichtig war?

SHANE: Keiner der Songs fiel uns leicht. Das kam schon öfters vor. Manchmal gibt es Lieder, die einfach aus einem heraus wollen. Man nimmt einfach seine Gitarre und die Akkorde und Noten kommen. Dann fängt man an, Wörter zu schreiben und es ist fast, als würde der Song dir zugeflogen kommen und sich von selbst schreiben. Dead Reflection war nicht so ein Album. Jeder Song war ein Problem, über jede Zeile musste ich stundenlang nachdenken. Ich musste immer sehr lange überlegen, ob die Texte genau das bedeuteten, was sie bedeuten sollten. Es war wirklich ein schwieriges Album, vor allem für mich persönlich, da ich vor anderthalb Jahren an einem schwierigen Punkt war. All das zusammen hat es echt nicht einfach gemacht.

GRINGOZ: Dafür ist das Album sehr gut geworden. Unser Favorit ist The Afterglow, hast du einen Favoriten auf dem Album? Vielleicht ein Lied, das live besonder Spaß macht oder eine besondere Bedeutung hat? 

SHANE: Nein, ich mag das Album als Ganzes. Jetzt, da das Album schon eine Weile draußen ist, hat sich meine Sicht darauf sehr verändert. Es ist ein bisschen, wie in einer Beziehung, am Anfang sagt man, man würde nie streiten, aber anderthalb Jahre später gibt man zu, dass man sich schon das ein oder andere Mal gezankt hat. Man liebt sich immer noch, aber man sieht Dinge trotzdem anders als am Anfang. Doch auch wenn ich jetzt etwas weniger befangen bin, muss ich sagen, dass das Album entweder mein Lieblingsalbum ist oder zumindest an zweiter Stelle steht.

GRINGOZ: Also ist es eher schwierig, ein Lied rauszupicken?

SHANE: Ich denke, dass viele der Lieder besonders sind. Aquamarine springt ein bisschen heraus, da es von etwas handelt, worüber ich sehr sauer war und sich dieses Gefühl auch im Text zeigt. Es ist viel Zeit seitdem vergangen und ich denke, dass der Text mir geholfen hat, darüber hinweg zu kommen. Wir haben auch gerade eine Akustikversion dazu aufgenommen, mit der wir sehr zufrieden sind.

GRINGOZ: Habt ihr jetzt, da das Album schon länger draußen ist, Pläne für das nächste Album oder seid ihr zu beschäftigt mit eurer Tour?

SHANE: Erstmal haben wir ziemlich viele Konzerte geplant. Der kreative Prozess für das nächste Album hat noch lange nicht angefangen. Über einen ungefähren Zeitrahmen haben wir schon nachgedacht, der kann sich allerdings noch ändern. Es dauert also definitiv noch eine Weile.

GRINGOZ: Wir sind gespannt, wann es dann kommt! Der kreative Prozess kann sicher manchmal schwierig sein, aber das habt ihr ja bis jetzt immer gemeistert. Hast du dich je gefragt, was du jetzt machen würdest, wenn du nicht in einer Band wärst?

SHANE: Ich habe Naturwissenschaften studiert, bevor ich in der Band war. Vielleicht wäre ich also jetzt ein Wissenschaftler. Nach all den Jahren ist es allerdings schwierig, sich ein Leben ohne die Band noch vorzustellen. Ich bin froh, dass es so gekommen ist.

GRINGOZ: Und wenn du Wissenschaftler wärst, würden wir jetzt nicht miteinander reden! Unser Interview neigt sich dem Ende zu und vielleicht kannst du den Lesern, die euch nicht kennen, euren Stil beschrieben?

SHANE: Das ist schwierig. Unser Stil ist eher kompliziert. Er lässt sich nicht in einem Song zusammenfassen, wie bei einigen anderen Bands. Ich liebe Bad Religion, die gibt es schon seit 1980, also seit fast 40 Jahren. Allerdings finde ich, wenn man einen ihrer Songs kennt, kennt man alle. Manchmal haben sie langsamere Songs, aber abgesehen davon klingt alles sehr gleich. Ich liebe diese Band wirklich sehr und ihr Sound macht sie großartig, aber unser Stil lässt sich nicht so einfach zusammenfassen. Wir haben härtere Lieder, emotionale Lieder, Lieder, die mehr nach Pop klingen. Man kann nicht zwei Lieder auf einem Album hören und sagen, man hätte sie alle gehört. Es ist sehr schwierig zusammenzufassen, aber ich denke, das ist gut. Man muss jeden Song unabhängig von den anderen schreiben und jeden Song mit der Intention schreiben, dass er der Beste wird. Bands, die gute Songs schreiben, bleiben lange im Geschäft, auch Bad Religion. Der Stil steht also immer an zweiter Stelle, die Fähigkeit, gute Songs zu schreiben, steht an erster Stelle.  Ich sage Leuten immer, sie sollen es sich anhören und sich nicht erschrecken, wenn manchmal geschrien wird.

GRINGOZ: Das ist eine gute Beschreibung. Danke für das Interview!

Das Interview wurde geführt von Jana Gall
Fotocredits: Jana Boese @ Gringoz Magazine

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